Aus dem handgeschriebenen Kochbuch einer Richtersfrau in Franken
Das handgeschriebene Kochbuch ist mein ganzer Schatz. 164 wunderschön beschriebene Doppelseiten mit alten Rezepten. Und ganz besonders, die Sammlung ist nicht „irgendwie und namenlos“ entstanden. Die Rezeptsammlerin hat immer dazugeschrieben, von wem sie das Rezept hat.
Wir haben dieses handgeschriebene Kochbuch zusammen mit einem historischen Gebäude vor einigen Jahrzehnten gekauft. Damals hatte das Buch einen recht ramponierten Pappeinband aber die Innenseiten sind tipp-top erhalten. Eine gute Buchbinderin hat es fein eingebunden und seither wird es von mir immer wieder genutzt.
Das Haus ist ein Zoll- und Richterhaus der Markgrafen von Ansbach, erbaut 1659, es steht direkt an der Grenze zur freien Reichstadt Nürnberg. Dieser Richter und Zollleinnehmer war wohl adeliger Herkunft, denn die Rezepte werden, wie schon geschrieben, immer einer Rezeptgeberin zugeschrieben, und diese stammen fast ausnahmlos aus Nürnberger Patrizierfamilien oder sind aus dem Umland. Auch Anspachische Recepta sind enthalten sowie Rezepte von der Frau Mama, von der Frau Gevatterin (Patin). etc.
In diesem Fall geht es darum „Welsche Nüß einzumachen“.
Welsche Nüß sind Walnüsse.
Die Walnuss war ursprünglich die „welsche Nuss“, d. h., sie ist über Frankreich oder Italien ins Deutsche gekommen Sie heißt auch englisch walnut, vom altenglischen walhnutu (wealh + hnutu) „fremde Nuss“.
Und Walnüsse kann man nicht nur reif essen. Sie können auch als grüne Nüsse geerntet und eingelegt, werden. Dabei werden sie im Laufe der Verarbeitung schwarz. Diese schwarzen Nüsse sind eine echte Delikatesse und Du kannst sie ganz vielseitig verwenden. Und immer gibt es ein „Hallo“, weil kaum jemand diese Spezialiät kennt.
In der Pfalz wurden sie früher viel eingelegt, man nannte sie dort auch „Pfälzer Trüffel“.
Mit ihrer feinen, nussigen Note sind sie gut für die Verfeinerung von Saucen, sie passen zu Wild- und Geflügelgerichten und sind delikat als Füllung für Ravioli, Tortellini etc. Und – weil süß eingelegt auch sehr gut zu Desserts, z.B. zu Vanilleeis.
Auf jeden Fall keine Allerwelts-Delikatesse und weil ein wenig Aufwand erforderlich ist, auch immer etwas ganz Besonderes.
Wann kann man grüne Walnüsse ernten?
Sie heißen deshalb auch Johannisnüsse, weil sie um den Johannistag (23. Juni) ungefähr vom Baum gebrochen werden. Sie sollten etwa 3 cm im Durchmesser haben und noch so weich sein, dass man mit einem Zahnstocher ganz durch die Nuss kommt. Wenn die Verholzung eingesetzt hat, dann ist es zu spät. Noch bis ungefähr 14 Tage nach Johannis ist ein guter Zeitpunkt.
IIch steche mit einem Werkzeug, das ich zum Pellen von heißen Kartoffeln benutze, etwa 1 cm in die Nuss ein, und das ringsum. Das geht schneller und ist besser als mit einem Zahnstocher.
Bevor Du mit der Bearbeitung beginnst, noch ein wichtiger Hinweis: Mit dem Saft der unreifen Nüsse kann man auch Haare färben (Walnussfarben!) Genau so kannst Du Deine Hände färben, wenn Du keine Plastik-Handschuhe trägst. Ich hab mal wieder meiner Erinnerung nicht getraut und dachte, wird schon nicht so schlimm werden – und das Ergebnis kannst Du weiter unten sehen. Das dauert wieder etliche Tage, bis es wieder ganz verschwunden ist.
Das originale Rezept aus dem Kochbuch
Die Welschen Nüß einzumachen
Von der Frau Pfarrer Lenzwindlin
„Man breche die Nüß ungefähr 8 oder 14 Tag nach Johannis ehe sie Schalen haben, und doch auch nicht zu klein seyn und steche man nach Belieben Löcher hinein aber nicht ganz hindurch lege sie in ein frisches Wasser 9, auch 12 – 14 Tag alle Tag aber das Waßer wieder abgießen und ein frisches darangeben dann in einer Mößingnen Pfannen in Wasser gesotten, bis sie weich aber nicht zu weich sind auf ein Tuch gelegt und ganz erkühlen und abtrocknen lassen.
Diese dann mit halben Nägl. [Näglein = Gewürznelken] und länglichtem Zimmet besteckt, dann wird auf 25 Nüß 1 Pfund feiner Zucker genommen mit ½ Seidl Wasser geläutert und so lang gesotten, bis er spinnt, alßdann solcher ganz verkühlet ist un die Nüß in den Tiegel oder Gläßer geschlicht so wird der Zucker darübergeschütt und wann die Brühe dünn wird, so wird solche mit neuem Stückl. Zucker wieder gesotten, erkühlt und darüber gegossen und wann wieder dünn wird so wird’s zum 3. Und 4. Mal auch wiederum wie erst gedacht gemachet.“
Probatum est
Und hier die „Übersetzung“
Zeitpunkt und Ernte der Früchte
Man bricht die Nüsse ungefähr 8 oder 14 Tage nach Johannis (23. Juni) ehe die Schalen innen verholzen. Sie sollten aber auch nicht zu klein sein. Zu dieser Arbeit unbedingt Handschuhe tragen: Man sticht nach Belieben ringsum Löcher in die Schalen, sticht aber nicht ganz durch und legt sie in frisches Wasser. Ungefähr 9 Tage, aber auch 12 – 14 Tage (ich probiere das Wasser, wenn es nicht mehr gallenbitter schmeckt, durch die Gerbsäure (die färbt so intensiv!) dann kann man damit aufhören. Ungefähr nach 10 – 12 Tagen. Das Wasser täglich wechseln, nicht in die Sonne stellen.
Weitere Bearbeitung
Dann werden die Nüsse in einer messingnen Pfanne (so wie auf den Bildern) im Wasser gekocht bis sie weich sind. (Heute nehme ich einen Edelstahltopf). Und für mich sind sie weich, wenn sie etwa die Konsistenz von gekochten rote Bete haben. Etwas „wabbelig“, aber noch kompakt. Dann legt man sie auf ein Tuch bis sie ausgekühlt und ganz getrocknet sind. Trocken deshalb, damit nasse Nüsse nicht den Sirup sofort verwässern.
Dann die trockenen Nüsse mit halbierten Nelken bestecken (das habe ich nie geschafft und ist mir zu viel Heckmeck, ich nehme kleinere Nelken, 2 Stück pro Nuss) und ebenso mit länglichtem Zimt. Hier nehme ich Ceylon-Zimstangen (nicht den Cassia-Zimt, der hat mehr Cumarin), schneide sie in 3 cm lange Stücke und diese schneide ich noch mal längs. Und diese Streifen lassen sich in die Nüsse einstecken (wenn sie die Konsistenz einer roten Bete! haben) – das mache ich nach Gefühl – so 1-2 Streifen pro Nuss.
Diese Gewürze wurden damals nicht nur wegen des Geschmacks verwendet. Auch die Heilwirkung war wichtig. Schon damals wusste man um ihre antibakteriellen, appetitanregenden und verdauungsfördernden Eigenschaften. Deshalb wurde auch bis ins 19. Jahrhundert der Lebkuchen in der Apotheke verkauft.
Zucker läutern und spinnen
Pro 25 Nüsse wird 1 Pfund Zucker mit 1/2 Seidlein (hier unterstelle ich die die Menge, die dafür in Bayern angesetzt wird,) siehe auch:
https://de.wikipedia.org/wiki/Alte_Ma%C3%9Fe_und_Gewichte (deutschsprachiger_Raum)
das wäre ungefähr ein halber Liter pro Seidel und 250 ml für diesen Fall. Das entspricht auch der üblichen Menge um Läuterzucker herzustellen: 1kg Zucker für 0,5 Liter Wasser.
Warum muss man Zucker läutern?
Zur Zeit des Kochbuchs gab es noch keinen industriell hergestellten Zucker, was da auf den Markt kam, war Rohrzucker, der auch oft stark verunreinigt war und noch allerlei Pflanzenbestandteile enthielt. Darum spricht man auch von Läuterzucker – also gereinigter Zucker. Dazu wird der Zucker am besten in einem Edelstahltopf unter ständigem Rühren mit dem Wasser aufgekocht und der entstehende Schaum wird mit einer Kelle abgeschöpft – bitte äußerste Vorsicht – heißer Zucker kann Verbrennungen machen. Am besten eine Schüssel mit kaltem Wasser bereit halten! Ich weiss, von was ich schreibe. 😉
Der geläuterte Zucker wird so lange gekocht, bis von einem eingetauchten Löffel die Flüssigkeit einen kleinen Faden bildet und abbricht. Das wäre der kleine Faden und reicht aus – wenn man länger kocht und wiederholt die Prozedur und der Faden wird länger so ist der Läuterzucker zum großen Faden gekocht.
Weiterverarbeitung von Früchten und Zucker
Der Zucker soll abkühlen und die Früchte werden in einen schmalen Steintopf oder ein Einmachglas mit nicht zu großer Öffnung geschlichtet. Dann kommt der konzentrierte Zuckersirup darüber. Die Öffnung soll deshalb nicht zu groß sein, damit die Fläche, auf die der Zucker aufgebracht wird, ebenfalls nicht zu groß ist, sonst reicht die Menge nicht. Das lässt man dann stehen, bis sich der Fadenzucker mit dem Saft der Früchte so weit vermischt hat, dass die Flüssigkeit dünn geworden ist.
Im Rezept steht nun, man nimmt wieder ein Stückl. Zucker – da es den Zucker damals als Brocken gab und noch nicht fein gemahlen wie heute. Wir nehmen einfach die gleiche Menge Zucker und Wasser und machen die gleiche Prozedur noch ein zweites mal. Und noch ein drittes mal und auch noch ein viertes mal.
Dann ist die Arbeit geschafft!
Die vierfache Prozedur ist wichtig, damit die Nüsse wirklich in konzentrierter Zuckerlösung lagern. Bis zum ersten Verzehr dauert es bis Weihnachten. Man kann die „welschen Nüß“ auch länger lagern – sie werden immer besser.
Dazu werden sie gut verschlossen und dunkel aufbewahrt. Wenn ich einen alten, offenen Steintopf nehme, lege ich eine Folie darüber, in gleicher Größe ein Stück Stoff darauf und verschließe das ganz stramm mit einem dicken Gummi, dass so wenig Sauerstoff als möglich darankommt.
Und dass das Verfahren funktioniert, dafür steht „Probatum est“ –
im Sinne von „hab’s ausprobiert, es hat geklappt.“
Variationen wären noch paar Stücke ZItronenschale (fein geschält in Bio-Qualität) und/oder eine aufgeschnittene Vanilleschote. Auch ein Hauch Chili oder Ingwer – gerade so, dass er ein kleines-kleines bisschen spürbar ist.
Ich bereite parallel die Früchte im Juli 2022 zu, den Fortschritt dokumentiere ich mit Fotos aus der jeweiligen Phase.